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Une colonie – Wenn, dann bitte richtig!

Es ist in der Regel leichter, von wirklich gelungenen Filme zu schwärmen oder richtig schlechte Werke zu verreißen.
»Une Colonie« von Geneviève Dulude-De Celles wandelt irgendwo dazwischen.
Keine Sorge, ich übertreibe! Denn für eine bestimmte Zielgruppe lohnt sich dieser Film auf jeden Fall.
Mehr dazu erfahrt Ihr in dieser Kritik.


Gleich zu Beginn haftet sich die Kamera an die junge Protagonistin Mylia, die sich in der lauten und oberflächlichen Welt in ihrer Schule und dem fragilen häuslichen Umfeld zurechtfinden muss.

»Une Colonie« ist eine Coming-of-Age-Story, die sich stilistisch auf das Wesentliche konzentriert.
Die Kamera lässt Mylia nicht mehr los und betrachtet sie in langen, ruhigen bis melancholischen Aufnahmen, die nur von gelegentlichen Jumpcuts leicht variiert werden.

Die sensible Mylia wird zunächst nur von ihrer liebevoll verspielten kleineren Schwester wahrgenommen.
Die Bindung der Geschwister ist innig und herzlich, ihre Interaktion ist wahrhaftig und auch mal locker und lustig. Hier macht der Film wirklich Freude.
Im weiteren Verlauf nimmt der »Rebell« Jimmy, Nachfahre eines indigenen Stammes, eine immer größere Rolle im Leben Mylias ein. Er fühlt sich diskriminiert von den anderen Schulkindern, die wahrscheinlich repräsentativ für die kanadische Gesellschaft stehen sollen.

Hier fängt der Film an, seine Stringenz zu verlieren. Man bekommt den Eindruck, dass sich die Verantwortlichen nicht entscheiden konnten, was für einen Film sie denn jetzt wirklich drehen und welche Themen sie differenziert verfolgen wollten. So wirkt das »Ureinwohnerthema« platziert und gewollt, die Handlung wird zudem immer vorhersehbarer.

Zwischendurch gibt es den ein oder anderen unangenehmen Moment, in dem meistens Mylias Klassenkameradinnen involviert sind, die sich für ihr Alter sexuell unnatürlich fortgeschrittenen und seltsam pervers verhalten.
In einer Sequenz befindet sich Mylia auf einem Schulball. Ihre »Freundinnen« kündigen ihr entzückt an, dass sie nun endlich ihre Jungfräulichkeit verlieren werde. Ein Junge kommt ihr näher, sie fühlt sich unwohl, flieht und wird abermals von Jimmy gerettet, der ihr das zuvor schon angekündigt hatte.
Haben wir alles irgendwie schon einmal gesehen. Das kann auch eine lange, träumerische und verlangsamende Einstellung in der Schuldisko, während derer wir nur den stumpfen Beat hören oder eher spüren, nicht verstecken.
Dennoch fühlt sich der Film in solchen Momenten durchaus authentisch an, einen großen Beitrag leistet Hauptdarstellerin Émilie Bierre, mit der wir schon vom ersten Moment an mitfühlen können.

Innerhalb des Kinder-und Jugendfilmgenres funktioniert »Une Colonie« zweifellos.
Die jüngeren Zuschauer werden von der Geschichte nicht all zu sehr überfordert, etwas über die zweifelhafte Aufarbeitung kanadischer Geschichte lernen sie auch noch. Mir reicht das aber nicht.
Der Anspruch eines jeden Filmes sollte in meinen Augen stets sein: Wenn, dann richtig! Anders bis eigen, mutig bis gewagt – Attribute, die man »Une colonie« nicht zuschreiben kann.

Im Q&A nach dem Screening brachte es die Regisseurin ungewollt auf den Punkt, als sie den Titel »Une colonie« erklärte. Sie assoziiere damit verschiedene Dinge, u.a. ein Ferienlager oder auch Kanada als ehemalige Kolonie.
Ihr ist der Spagat zwischen persönlicher Heranwachsenden-Story und ernsthafter Gesellschaftskritik nicht ganz gelungen.
Immerhin sind Kamera, Schauspiel und Production Design gekonnt reduziert und kontinuierlich. Den Schauspielern wird ausreichend Raum zur Entfaltung gegeben.
»Une colonie« ist also beileibe kein schlechter Film und für jüngere Zuschauer, denen gewisse inhaltliche Entscheidungen nicht ganz so stark und negativ auffallen, gut geeignet. Abschließend ist beizufügen, dass ich von Filmen, die auf der Berlinale gezeigt werden, stets viel erwarte.
Nur verlieren sich viele Festivalbeiträge in langen, elegischen Bildern und Momenten und verlieren den Fokus auf das inhaltlich Wesentliche bzw. vergessen, dieses zu erkennen und zu katalysieren.

13.02.2019, Vincent Edusei

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